Politik und Rettungswesen - was ist nach Wahl zu erwarten?


Die Bundestagswahl 2021 ist größtenteils ausgezählt und zwei Parteien könnten sich um den Post als Bundeskanzler:in streiten. CDU und SPD sind nahezu gleichauf. Aber was hatten die Parteien eigentlich in Bezug auf den Rettungsdienst in ihren Wahlprogrammen stehen? Was davon kann wann umgesetzt werden und was sind nur leere Versprechungen? Eines ist klar, Rettung und Pflege müssen seit Jahren entlastet und Löhne für die wertvolle Arbeit angepasst werden. Das Amt des Retters oder Pflegers in all seinen Facetten muss wieder attraktiver gemacht werden, sodass sich mehr Leute wieder für einen Job in diesem Zweig entscheiden. Insgesamt lässt sich sagen, dass sich nur drei Parteien Punkte, welche den Rettungsdienst betreffen, in ihrem Programm haben - nämlich die SPD, die Grünen und die FDP.

Das deutsche Rettungswesen zählt zu den besten der Welt. Allerdings sehen zahlreiche Experten noch Verbesserungs- bzw. Nachholbedarf um die Rettung insgesamt noch besser machen zu können.

Die SPD hat deshalb folgende Punkte in ihrem Wahlprogramm stehen.

  1. Wir sind davon überzeugt, dass die Patient:innen in der ganzen Bundesrepublik Deutschland einen Anspruch darauf haben, überall gleich gut versorgt und behandelt zu werden. Das schließt ausdrücklich den Rettungsdienst mit ein, der z.B. ggf. auch eine Bundeslandgrenze überfährt. Demnach ist es aus unserer Sicht auch in einem föderalen Gemeinwesen nicht mehr zeitgemäß, wenn eine unterschiedliche technische Ausstattung oder auch die unterschiedliche Handhabung von SOP im Einsatz Hindernisse für die optimale Versorgung von Notfallpatient:innen bedeuten können. Unsere Fachpolitiker:innen in Bund und Ländern arbeiten deshalb intensiv und koordiniert am Abbau von Barrieren für eine optimale Versorgung auch im Rettungsdienst.

  2. Wir haben als SPD in Regierungsverantwortung dafür gesorgt, dass die vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) ursprünglich geplante Reform des NotSanG für eine eigenständige Ausübung der Heilkunde unter nur engen Voraussetzungen so nicht umgesetzt wurde. Wir haben uns unmissverständlich für die uneingeschränkte Ausübung der Heilkunde (inkl. invasiver Maßnahmen) bis zum Eintreffen der Notärzt:in ausgesprochen und am Ende auch durchgesetzt. Denn die oder der NotSan erlernen diese konkrete Praxis in ihrer Ausbildung. Unsere SPD-Bundestagsfraktion prüft derzeit erneute Hinweise auf eine fortgesetzte Rechtsunsicherheit nach der Reform, die sie auch jüngst in einer Anhörung des Deutschen Bundestages problematisiert hat. Die Prüfung dauert derzeit an.

  3. Im Zentrum steht für uns eine gleichwertig gute Versorgung aller Notfallpatient:innen. Als SPD im Bund respektieren wir jedoch auch die Kompetenz der Länder und setzen auf eine verstärkte Zusammenarbeit über Bundesländergrenzen hinweg. Hierfür arbeitet die SPD in Bund und Ländern gemeinsam.

  4. Wie Sie selbst betonen, liegt diese Entscheidung bei den Gesetzgebern in den Ländern. Grundsätzlich gehört der Rettungsdienst für uns als SPD zur Daseinsvorsorge und muss uneingeschränkt hohen qualitativen Standards genügen. Eine bundesweit einheitliche bzw. vergleichbare Qualität der Leistungserbringung ist unser Ziel.

  5. Die Unterscheidung von Zivil- und Katastrophenschutz in Friedenszeiten ist überholt, eine Weiterentwicklung des Bevölkerungsschutzsystems notwendig. Grundlegend für einen modernen Bevölkerungsschutz ist der Leitgedanke eines starken, vorsorgenden Staates auf allen Ebenen. Wir müssen weg von der Idee des Kooperationsverbots, hin zu einem Kooperationsgebot. Der Bund muss die Länder bei der Aufgabenwahrnehmung unterstützen und im Zweifel koordinieren. Ein starker Staat bedeutet nicht zwangsläufig einen zentralstaatlichen Bevölkerungs- und Katastrophenschutz. Aufgabe des Staates ist, Rahmenbedingungen zu schaffen, die die Länder bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben unterstützen. Es geht nicht darum, Entscheidungen konsequent beim Bund zu zentralisieren, sondern Koordinationsstrukturen horizontal wie vertikal klarer zu fassen und zentrale Steuerung zu ermöglichen. Zudem muss das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe weiter gestärkt werden. Die Diskussion um eine Verfassungsänderung ist vor dem Hintergrund der aktuellen Krisenlage sowie zukünftiger hybrider Herausforderungen dringend neu zu führen.

  6. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, ist die Steigerung der Attraktivität der Assistenzberufe ganz entscheidend. Das fängt bei der Ausbildung an. Bund und Länder haben im vergangenen Jahr ein Gesamtkonzept Gesundheitsberufe mit Vorschlägen zur Modernisierung der Berufsgesetze vorgelegt. Es ist dringend, diese Reformen nun auf den Weg zu bringen. Die SPD verfolgt das mit Nachdruck und setzt sich für Schulgeldfreiheit, eine Ausbildungsvergütung, tarifliche Bezahlung und mehr interdisziplinäre Kooperation und Verantwortung in den Gesundheitsberufen ein. Die Werbung für die Attraktivität des Berufes ist aber auch eine Aufgabe der Arbeitgeber. Eine gute Bezahlung, Aufstiegsmöglichkeiten, Weiterbildung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Flexibilität, Übernahme von eigenständigen Aufgaben usw.: All dies sind für junge Leute heute wichtige Kriterien, die bei der Entscheidung für oder gegen einen Beruf eine wichtige Rolle spielen.

Die Grünen sagen hingegen Folgendes.

  1. Aus Sicht der Grünen sind folgende Veränderungen am deutschen Rettungsdienstsystem notwendig: Verbesserungen in der digitalen Infrastruktur, deutliche Verbesserungen in der Luftrettung (bessere Infrastruktur, Verbesserung der Luftrettung durch Gleichstellung mit hoheitlichen Aufgaben, Sicherung gut ausgebildeten Personals), mehr Rechtssicherheit im Rettungsdienstalltag für das Rettungsdienstpersonal und Stärkung von Kompetenzen der Notfallsanitäter*innen (NFS), außerdem explizite Möglichkeit zur Gabe von BtM für NFS, weiterer Ausbau und Integration eines flächendeckenden AED-Netzes sowie von Ersthelfer-Apps, um die Versorgung weiter zu optimieren und die Überlebenschancen zu steigern, Förderung der Qualitätssicherung und Wissenschaft des Rettungswesens in Deutschland, gemeinsame Leitstellen.

  2. Mit der Änderung des Notfallsanitätergesetzes herrscht nun endlich Rechtssicherheit in Fällen, in denen Notfallsanitäter*innen heilkundliche Maßnahmen eigenverantwortlich durchführen müssen, um Lebensgefahr oder wesentliche Folgeschäden von Patient*innen abzuwenden. Dies ist ein erster wichtiger Schritt, aber er reicht noch nicht aus. Es müssen künftig weitere Regelungen getroffen werden, die Notfallsanitäter*innen erlauben, das Erlernte im Sinne der Patient*innen anzuwenden, auch wenn diese nicht in Lebensgefahr schweben. Zusammen mit den Bundesländern wollen wir darauf hinwirken, dass z.B. die ärztlichen Leitungen im Rettungsdienst medizinische Handlungsanweisungen festlegen und diese an entsprechend ausgebildete Notfallsanitäter*innen delegieren können. Zudem sind Änderungen am Betäubungsmittelgesetz zur legalen Verabreichung von Schmerzmitteln an Patient*innen in einer Notsituation vor Ort sinnvoll, um Notfallsanitäter*innen die Anwendung des von ihnen Erlernten und Beherrschten rechtlich auch zu ermöglichen und damit die Versorgung von Patient*innen deutlich zu verbessern.

  3. Ein wichtiger Punkt ist aus unserer Sicht die Aufnahme des Rettungsdienstes in das SGB V. Dies würde es ermöglichen, die Qualität der Rettungsdienst-Leistungen stärker im Sinne der Patient*innen zu beeinflussen. Außerdem sollten auf Bundesebene Vorgaben zu den Rahmenbedingungen für den Rettungsdienst definiert werden können, etwa was die Ausgestaltung und Dichte der Leitstelleninfrastruktur oder Mindestvorgaben hinsichtlich der Vorhaltung oder Abdeckung des Rettungsdienstes angeht oder wie die länderübergreifende Zusammenarbeit zu regeln ist.

  4. Wir Grüne sind überzeugt: Am Ende zählt die bestmögliche Versorgung für die Menschen. Ausschreibungen können ein Instrument zur zielgerichteten Bedarfsdeckung sein. Diese sollten allerdings nicht primär als Verfahren zum Drücken der Preise gesehen werden, sondern insbesondere auch zur Verabredung von Qualitätsstandards. So gesehen haben Ausschreibungen in der Vergangenheit auch zu mehr Transparenz und zu einem Innovationsschub beigetragen. Gleichzeitig wissen wir um den großen Aufwand, den die Vergabeverfahren für alle Seiten bedeuten, einschließlich der teilweise langwierigen Nachprüfverfahren. Unser Ziel als Grüne sind transparente, funktionierende Verfahren, die am Ende mehr Qualität für die Patient*innen in Not und die Beschäftigten im Rettungsdienst bedeuten. Anzumerken ist, dass die Rettungsdienstgesetze in die Gesetzgebungskompetenz der Länder fallen.

  5. Eine starre Unterscheidung zwischen Zivil- und Katastrophenschutz ist nicht mehr zeitgemäß. Darüber hinaus hat die Covid-19-Pandemie gezeigt, dass auch die Regelstrukturen des Gesundheitswesens besser für Katastrophenlagen gerüstet und aufeinander abgestimmt werden müssen. Die Ressourcen für eine solche ebenen- und ressortübergreifende Zusammenarbeit stehen heute schon teilweise zur Verfügung, wie z.B. im Katastrophenschutz das Gemeinsame Melde- und Lagezentrum des Bundes und der Länder (GMLZ) im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Wir Grüne fordern daher, das BBK mit einer Zentralstellenkompetenz bei länderübergreifenden Lagen auszustatten und Meldeverpflichtungen der Länder einzuführen. Die Etablierung eines Gemeinsamen Kompetenzzentrums für den Bevölkerungsschutz im BBK, wie sie das neue BBK-Konzept vorsieht, unterstützen wir ausdrücklich. Hier bedarf es zwingend auch der Einbindung rettungsdienstlicher Strukturen. Entscheidend sind verpflichtende gesetzliche Grundlagen, um eine effektivere Koordination bei der Bekämpfung zukünftiger Krisen sicherzustellen und dafür zu sorgen, dass die Hilfe schnellstmöglich dort ankommt, wo sie benötigt wird.

  6. Aus unserer Sicht sind gute Arbeitsbedingungen die Grundlage, um dem Personalmangel begegnen zu können. Dazu gehören eine attraktive Bezahlung, familienfreundliche Arbeitsbedingungen, Arbeiten im Team, Aufstiegs- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Hierzu müssen auch die entsprechenden Berufsgesetze reformiert werden und das Schulgeld soweit wie möglich abgeschafft werden.

Dagegen steht im Wahlprogramm der FDP die folgenden Ansätze

  1. Die Arbeit der Beschäftigten im Rettungsdienst ist von unverzichtbarer Bedeutung für die Sicherstellung der medizinischen Versorgung in der Bundesrepublik. Damit dies auch künftig so bleibt, setzen wir Freien Demokraten uns für Verbesserungen von Arbeitsbedingungen und Abläufen ein. Dazu zählt für uns die Schaffung eines modernen, bundesweit verbindlichen Heilberufegesetzes, das eigenständige Befugnisse der Notfallsanitäter, Pflegekräfte und anderer Gesundheitsfachberufe gesetzlich festlegt. Dabei soll an den Regelungen zur Aus-, Weiter- und Fortbildung für den Berufszugang angeknüpft sowie klarstellende haftungsrechtliche Regelungen im Bürgerlichen Gesetzbuch eingefügt werden. Diese müssen den medizinischen Standard bei vertikaler und horizontaler Aufgabenverteilung und -wahrnehmung gewährleisten und auch außerhalb eines Behandlungsvertrages entsprechend Anwendung finden.

  2. Absolute Rechtssicherheit schafft die (vor kurzem erfolgte, Anm. d. Red.) Gesetzesreform nicht. Der Gesetzgeber hat hiermit einige Voraussetzungen zur eigenverantwortlichen Durchführung von heilkundlichen Maßnahmen festgelegt, die juristisch anfechtbar sind. So muss die/der Notfallsanitäter/in die Maßnahme in der Ausbildung erlernt haben, er muss sie beherrschen und die Maßnahme muss erforderlich sein, um Lebensgefahr oder Folgeschäden beim Patienten abzuwenden. Das bedeutet, diese Voraussetzungen müssen zusammen vorliegen, damit das Rettungsdienstpersonal heilkundliche Maßnahmen eigenverantwortlich durchführen darf. Es gibt folglich keine Regelungskompetenz für die heilkundlichen Maßnahmen. Diese braucht es aber.

  3. Wir Freien Demokraten setzen uns dafür ein, dass zwischen Bund und Ländern unverzüglich die Verhandlungen über eine Reform der grundgesetzlich festgeschriebenen Bund-Länder-Kompetenzverteilung im Bereich der Rettungsdienste, Krankenhäuser und sonstigen stationären Einrichtungen zur Gesundheitsversorgung aufgenommen werden, die den Ländern und Kommunen weiterhin die regionale Strukturplanungshoheit überlässt und zugleich den weitestgehenden Abbau der ambulant-stationären Sektorengrenze sowie die Schaffung eines bundesweit einheitlichen ordnungsrechtlichen Rahmens für den Rettungsdienst, für die Krankenhäuser und sonstigen stationären Einrichtungen zur Gewährleistung gleichwertiger Lebensverhältnisse ermöglicht. Die FDP-Bundestagsfraktion hat sich dafür im Antrag „Notfallversorgung neu denken – Jede Minute zählt“ (https://dserver.bundestag.de/btd/19/160/1916037.pdf) eingesetzt.

  4. Wir Freien Demokraten wollen einer Vielzahl von Rettungsdienstanbietern eine gleichberechtigte Chance geben, denn nur so sichern wir die gute Qualität, die unsere Rettungsdienste anbieten. Die Bereichsausnahme würde vor allem kleine Wohlfahrtsverbände aus dem Markt drängen. Wir lehnen sie daher ab.

  5. Nicht zuletzt die verheerende Flutkatastrophe, die Teile von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen schlimm getroffen hat, vor allem aber die Koordinierung von Schutzmaßnahmen vorab, hat strukturelle Schwächen beim Katastrophenschutz verdeutlicht. Das Unglück hat klar gezeigt, dass der Katastrophenschutz unmittelbar reformiert werden muss, damit Deutschland zukünftig besser vorbereitet ist und die Bevölkerung geschützt werden kann. Hierzu sollte insbesondere das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe zu einer Zentralstelle im Bevölkerungs- und Katastrophenschutz ausgebaut werden. Ein reines Kompetenzzentrum ist zu wenig. Darüber hinaus muss Cell Broadcasting Grundlage einer bundesdeutschen Warninfrastruktur werden, um die Bevölkerung per SMS warnen und informieren zu können. In einer Föderalismuskommission III muss zudem geklärt werden, wie Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zwischen Bund, Ländern und Kommunen besser verteilt werden können. Eine koordinierende Rolle des Bundes wäre sinnvoll.

  6. Um den Fachkräftemangel im Gesundheitswesen und insbesondere bei den Heilmittelerbringern zu begegnen, wollen wir Auszubildende bundesweit von der Zahlung von Schulgeldern befreien. Der Schlüssel sind attraktivere Arbeitsbedingungen sowie verbesserte Zuwanderungsmöglichkeiten für Fachkräfte. Wir wollen die Arbeit in den Gesundheitsfachberufen durch digitale Anwendungen, Automatisierung sowie Robotik unterstützen und insbesondere Pflegende dadurch entlasten. Von der elektronischen Patientenkurve über die automatisierte Medikamentenausgabe bis hin zu robotischen Lagerungshilfen ist vieles möglich. Die Einwanderung von Gesundheitsfachkräften in den Arbeitsmarkt wollen wir verständlich und einfach steuern.

Im Großen und ganzen sind sich die Parteien einig. Stärkung des Heilberufegesetzes und der Mensch bzw. Retter solle im Mittelpunkt stehen. Zudem wollen alle drei eine Entlastung des Gesundheitssystems im Allgemeinen.
Was haltet ihr von diesen Maßnahmen bzw. Vorhaben? Können diese umgesetzt werden? Wir sind gespannt auf eure Meinung.

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2021-09-28 12:04:00 / Aktuelle Themen
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